Dass sein Name einmal für einen der europaweit größten Hersteller von glutenfreien Bio-Backwaren stehen würde, hätte sich der Vollkornpionier Johann Georg Schnitzer bestimmt nicht träumen lassen. Den Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit erkannte der Zahnarzt allerdings bereits in den 1960er Jahren. Die Menschen in Sachen Ernährung aufzuklären, wurde zu seiner Mission. Schnitzer hielt Vorträge, schrieb Bücher zum Thema Vollwertkost und entwickelte Steingetreidemühlen für den Hausgebrauch.
Mühlen vertreibt das Unternehmen Schnitzer, das 1984 zunächst von der Verlegerfamilie Reiff übernommen wurde, nach wie vor. Und auch das Partnerbäckerei-Lizenzsystem existiert weiter, bei dem die teilnehmenden Bio-Bäcker von Schnitzer unter anderem Rezepte und entsprechende Rohstoffe erhalten.
Den Löwenanteil des Umsatzes machen allerdings die haltbaren, glutenfreien Bio-Backwaren aus, und das kam so: „Ende der 1990er Jahre, bei einem Treffen der Familie meiner Frau, einer Tochter der Verleger-Familie Reiff, kam das Gespräch auf Schnitzer“, erinnert sich Geschäftsführer Matthias Niemann. Das junge Paar, damals beide in der Beratung tätig, warf einen Blick in die Bücher und war sich einig: Wenn das Unternehmen eine Überlebenschance haben sollte, musste etwas passieren. Die Niemanns nahmen die Herausforderung an und zogen aus der Großstadt München ins beschauliche badische Offenburg, um Schnitzer „wieder fit für die Zukunft zu machen“, so Niemann.
Backstube in der Dorfgasse
Auf der Suche nach einer neuen Geschäftsidee wurde Matthias Niemann in seinem Umfeld fündig: Aufgrund von persönlichen Erfahrungen wurde in seinem Bekanntenkreis häufig über Zöliakie diskutiert. Bei den davon Betroffenen führt das Klebereiweiß aus Getreide (Gluten) zu einer Entzündung der Dünndarmschleimhaut. Niemann setzte sich mit dem Thema Spezialernährung auseinander und entwickelte die Idee, glutenfreie Bio-Backwaren herzustellen. „Und zwar in einer Zeit, als Glutenfreiheit gerne noch mit Glutamatfreiheit verwechselt wurde“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Unkonventionell und mutig war auch der Ort, an dem die ersten glutenfreien Schnitzer-Brote gebacken wurden: Ein Schwarzwaldhaus in einer verwinkelten Gasse. Dort hatte ein Bäckerei den Betrieb eingestellt und Niemann ließ das Gebäude renovieren und zu einer glutenfreien Produktion ausbauen. „Logistisch war das eine Katastrophe“, erinnert sich der Schnitzer-Chef. „Die Backöfen mussten wir mit dem Kran reinheben.“ Doch die glutenfreien Brote, die dort gefertigt und anschließend pasteurisiert wurden, um sie haltbar zu machen, kamen im Handel und bei der Kundschaft gleichermaßen gut an. Die Nachfrage stieg und schon bald war der 200 Quadratmeter große Produktionsbetrieb zu klein.
2005 stand ein Umzug auf das Reiff-Betriebsgelände in Offenburg an. „Da haben wir die Fläche auf einmal vervierfacht und gedacht, wow, das reicht die nächsten zwanzig Jahre“, erzählt Niemann. Doch noch nicht einmal fünf Jahre später wurde das Thema Glutenunverträglichkeit plötzlich zu einem Mega-Hype. Die Nachfrage explodierte, der Umsatz verdreifachte sich nahezu und die Produktion platzte erneut aus allen Nähten. Statt eine komplett neue Bäckerei zu bauen, fasste man den Entschluss, die Halle einer zum Medienunternehmen Reiff gehörenden ehemaligen Druckerei zu entkernen und zu einer nach IFS (International Featured Standard) zertifizierten Lebensmittelproduktionsanlage auszubauen.
Drei Fragen an Matthias Niemann

Herr Niemann, ein Blick in die Glaskugel: Wo steht Ihr Unternehmen in zehn Jahren?
Neben dem Ausbau der Marktführerschaft im europäischen Markt für glutenfreie Biobackwaren ist die Umstellung unseres Energiebedarfs in der Produktion auf hundert Prozent regenerative Energien eines unserer Hauptziele.
Wo sehen Sie die Hauptherausforderungen?
Die Märkte konsolidieren sich zunehmend, gleichzeitig steigen die Kosten. Um erfolgreich zu bleiben, müssen Unternehmen qualifizierte und motivierte Fachkräfte gewinnen und halten. Eine zuverlässige Versorgung mit hochwertigen Rohstoffen ist ebenfalls entscheidend.
Welchen Stellenwert hat der Naturkost-Fachhandel für Schnitzer?
Er ist unser Heimatmarkt. Wir werden alles daransetzen, auch in Zukunft einen Großteil unserer Umsätze hier zu realisieren. Trotz seiner aufwändigeren Struktur hat er aus meiner Sicht ein sehr faires Pricing. Es wäre schön, wenn diese Anstrengungen durch möglichst viele Kundinnen und Kunden honoriert werden.
Auch bei Sportlern beliebt
Seit 2015 produziert Schnitzer hier auf 7.000 Quadratmetern und zählt damit zu einem der größten Hersteller glutenfreier Bio-Backwaren europaweit. Brote, Baguettes und Brötchen bilden den Schwerpunkt des rund 30 Produkte umfassenden Sortiments. Im Angebot finden sich aber auch Muffins und Brownies, sowie herzhafte Knabbereien und Zutaten für die schnelle Küche wie Pizzaböden und Burger-Buns.
Geschätzt werden die Schnitzer-Produkte nicht nur von Menschen mit Zöliakie oder Reizdarmsyndrom. Auch Leistungs- und Ausdauersportler greifen Matthias Niemann zufolge, der selbst engagierter Hobby-Sportler ist, vor Training und Wettkämpfen gerne zu glutenfreien Alternativen.
Aufwändig, aber sicherer
Qualitätskontrolle bei Schnitzer großgeschrieben. Silos, in denen in anderen Großbäckereien die Hauptrohstoffe gelagert werden, sucht man hier vergeblich. Denn zwar verarbeiten dem Schnitzer-Chef zufolge viele Mühlen inzwischen ausschließlich glutenfreies Getreide. Die Transporteure seien aber nicht spezialisiert. „Immer wenn es Probleme mit Gluten in unseren Rohstoffen gab, lag das daran, dass der Transporteur zum Beispiel vergessen hatte, eine kleine Schleuse oder den Schlauch gründlich zu reinigen“, erklärt Niemann. Deshalb setzt man bei Schnitzer auf Big Bags oder Einzelsackware, die mit dem LKW angeliefert werden. Das ist zwar aufwändiger, aber die sicherere Wahl.
Insgesamt verarbeiten die 140 Mitarbeiter rund 2.000 Tonnen Rohstoffe pro Jahr und erwirtschaften einen Umsatz von 20 Millionen Euro. Daran hat der Naturkost-Fachhandel einen Anteil von 35 Prozent. „Weitere 35 Prozent entfallen auf Drogerie, LEH und den eigenen Webshop, 30 Prozent stammen aus dem Privatlabel-Geschäft“, schlüsselt Niemann weiter auf.
Sauerteig als Basis
Herzstück vieler Rezepturen ist Sauerteig, der im Unternehmen selbst angesetzt und täglich angefüttert wird. Er sorgt für den typisch säuerlichen Geschmack und lockert den Teig durch die Gärung. Zudem verbessert er die Frischhaltung und ermöglicht es, auf Konservierungsstoffe zu verzichten.
Zwar wird bei Schnitzer im Vergleich zu anderen Großbäckereien viel per Hand gearbeitet. Dennoch läuft auch hier ein Großteil der Produktion automatisch. Zum Beispiel das Teigmachen: Startet ein Mitarbeiter per Computer ein Rezept, werden die entsprechend abgewogenen Zutaten automatisch aus den jeweiligen Behältern im Rohwarenlager gezogen, in riesigen Kesseln gemischt, mit Wasser vermengt und zu einem Teig geknetet. So weit, so üblich.
Da aber glutenfreier Teig eine andere Konsistenz hat und sich nicht so leicht in Form bringen lässt, wie etwa solcher aus Weizenmehl, suchte Matthias Niemann zur Weiterverarbeitung des von ihm sogenannten „Klackermatschs“ eine eigene Lösung. Der aus Hamburg stammende Schnitzer-Geschäftsführer erinnerte sich an einen Ferienjob in der Würstchenproduktion, stellte fest, dass sich die Konsistenzen der Massen ähneln – und fand eine für sein Unternehmen passende Maschine.
So in Form gebracht, werden die Teiglinge automatisch bemehlt und auf Bleche gesetzt, die dann von Hand in spezielle Rollwagen geschoben werden. Das ist zwar personalintensiv, hat aber Matthias Niemann zufolge den Vorteil, flexibel produzieren zu können.
Ist der Wagen voll beladen, geht es in sogenannte Stikkenöfen. Hier werden die Bleche auf der einen Seite eingeschoben, das Backwerk in bis zu 220 Grad heißer Luft gebacken und nach etwa 30 Minuten auf der anderen Seite herausgeholt.
Anders läuft der Backprozess beim pasteurisierten Schnittbrot. In Öfen, die im Norden der Republik auch für das Backen von Pumpernickel zum Einsatz kommen, wird der Teig bei Temperaturen zwischen 130 und 140 Grad Celsius über vier Stunden lang gegart, aus der Form gestürzt, geschnitten, verpackt und dann nochmal in der Verpackung erhitzt, um die Brote haltbar zu machen.
Generell sind alle Schnitzer-Produkte ganz ohne Konservierungsstoffe ab Produktion mindestens sechs Monate lang haltbar. Das verschafft dem Unternehmen wie dem Handel eine gewisse Handlingzeit. Sie ist auch deshalb nötig, weil 32 Prozent der Produkte in den Export gehen, hauptsächlich in europäische Nachbarländer.
Neben dem Pasteurisieren sorgen spezielle Verpackungs-Verfahren dafür, dass die Produkte nicht so schnell verderben. Etwa, indem die Brote und Brötchen per Vakuumgreifer in Folien-Schalen gelegt werden, denen dann, um die Haltbarkeit zu erhöhen, zunächst Sauerstoff entzogen und CO2 zugesetzt wird. Weniger aufwändig sind Schlauchbeutelverpackungen. Sie eignen sich für Produkte, die per se länger haltbar sind, etwa weil sie sehr süß oder sehr trocken sind, wie die Muffins oder Grissinis. Bei ihrer Verpackung setzt Schnitzer bereits recyclingfähige Folie ein. Nach und nach soll komplett umgestellt werden.
Weitere Bilder aus dem Unternehmen:
Neues Verpackungsdesign
Verabschiedet hat man sich auch von den Faltschachteln, die bis zum Relaunch im vergangenen Jahr die Produkte zusätzlich umhüllten. Zwar könne man auf der Verpackung nun nicht mehr so viele Informationen unterbringen. „Aber wir sparen jetzt jedes Jahr 70 Tonnen Kartonage ein. Das sind 104 Fichten“, rechnet Niemann vor.
Mit den Umkartons verabschiedete sich Schnitzer auch vom bisherigen Verpackungsdesign. Statt kühlem Weiß dominieren nun erdig-warme Töne. Backpapieroptik soll schon auf den ersten Blick signalisieren, dass es sich um Bio-Produkte handelt. Und statt glutenfree heißt es auf den Verpackungen jetzt schlicht und deutsch Glutenfreiheit.
Nachhaltigkeit wird bei Schnitzer schon immer großgeschrieben. Bio-zertifiziert ist das Unternehmen bereits seit 1992 und seit dem vergangenen Jahr ist die Produktion zudem nach ZNU-Standard Nachhaltiger Wirtschaft zertifiziert. „Hier müssen wir jedes Jahr aufs Neue nachweisen, dass wir unsere Ziele erreichen, in den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Soziales besser werden und uns wieder neue Ziele setzen“, erklärt Niemann. An neuen Herausforderungen mangelt es also auch in Zukunft vermutlich nicht. Doch Matthias Niemann und sein Team werden Lösungen suchen und finden – darunter bestimmt auch kreative.
Zahlen – Daten – Fakten
- Geschäftsführung: Matthias Niemann
- Standort: Offenburg
- Gegründet: 1968 von Dr. Johann Georg Schnitzer
- Mitarbeiter: ca. 140
- Sortiment: glutenfreie Backwaren, Produkte: ca. 33
- Umsatz: ca. 20 Millionen, Exportanteil: ca. 32 Prozent
- Website: www.schnitzer.eu
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