Bruno Schilcher nimmt den frisch angeschnittenen halben Laib Käse in beide Hände und riecht daran. Sein Gesicht strahlt Zufriedenheit aus. „Frisch, würzig; man riecht, dass die Milch etwas Besonderes ist“, sagt der Käsegroßhändler, und schon ist er auf der Graubündner Alpe, kraxelt auf den steilen Hängen den Kühen hinterher und schildert, wie die Bauern hier auf über 2.000 Meter Höhe in mühsamer Handarbeit das Heu für den Winter machen.
„160 Bergkräuter haben Wissenschaftler hier gezählt“, erzählt Schilcher. Mit „hier“ meint er den kleinen Ort Nufenen an der Via Mala, der Schlucht im hintersten Schweizer Rheintal, unterhalb des San-Bernadino-Passes. 1992 hatten die 22 Bauern des 1.600 Meter hoch gelegenen Dorfes auf Bio umgestellt und nur wenige Jahre später kam Bruno Schilcher in den Ort, auf der Suche nach richtig gutem Bio-Käse. Es war der Beginn einer erfolgreichen Freundschaft.
Milch im Blut
Bruno Schilcher hat Milch im Blut. 1957 auf einem oberbayerischen Milchviehbetrieb geboren, lernte er Molkereifacharbeiter, machte seinen Käsermeister und leitete eine konventionelle Käserei. „Irgendwann war dann Schluss, da war keine Wertschätzung mehr für das Produkt“, erinnert er sich. „Jedes Jahr gab es eine Sorte weniger, es ging nur noch um Effizienz.“ 1989 heuerte Schilcher bei der Bio-Hofkäserei Grenzebach an und war in der kleinen Szene der Bio-Käser bald bekannt wie ein bunter Hund.
Schilcher besuchte La Selva-Gründer Karl Egger in der Toskana und lernte bei italienischen Käsern die Herstellung von Mozzarella. „In Parma habe ich mir dann eine Mozzarella-Maschine gekauft und den ersten deutschen Bio-Mozzarella produziert“, erzählt Schilcher. Parallel dazu führte der umtriebige Käsermeister mit der „Käs-Hüttn“ in Spatzenhausen, 70 Kilometer südlich von München, ein eigenes Fachgeschäft für Biokäse.
Vom Fachgeschäft zum Großhandel
„In dieser Zeit, Mitte der 90er-Jahre, fragten mich Hermann Beer von der ÖMA und Konrad Holzner vom Grünen Markt in München, ob ich nicht einen Spezial-Großhandel für Bio-Käse gründen wolle“, erzählt Schilcher. Er wollte – und eine seiner ersten Fahrten führte ihn zu den Bündner Bergbauern nach Nufenen, die er schon kannte. Die suchten damals nach Möglichkeiten, nicht nur den Schweizer Großhandel zu beliefern.
Man war sich schnell einig. „Im ersten Jahr verkauften wir 700 Kilo von unserem Via Mala-Käse an den Bruno und waren richtig stolz“, erzählt Christian Simmen, der Vorsitzende der Sennereigenossenschaft Nufenen. Heute sind es jedes Jahr 70 Tonnen. Denn Bruno Schilchers Rezept, „Käse kauft man am besten beim Käsermeister“, war erfolgreich.
Der Münchner Filialist Vollcorner zählte zu den ersten Kunden von Schilcher und ist bis heute dabei. Zahlreiche Biomärkte vor allem im Süden Deutschlands folgten, hinzu kamen Markthändler und Abo-Kisten. Der LEH war für Schilcher-Käse nie ein Thema, ebenso wenig wie plastikverpackter Käse fürs Kühlregal. „Guten Bio-Käse musst Du den Kunden nahebringen, sie probieren lassen, etwas dazu erzählen“, sagt der Käsehändler.
Zusammenarbeit mit Bauern und Käsereien
Damit es etwas zu erzählen gibt, veranstaltete Bruno Schilcher bis zur Corona-Pandemie für seine Kunden jedes Jahr mehrere Fahrten zu den Käsereien und Sennereien, die ihn, oft exklusiv, beliefern. Umgekehrt holte er auch die Bauern zu seinen Kunden an die Käsetheken. „Wenn die den ganzen Tag an der Theke stehen und den Laib 150-grammweise verkaufen, sehen sie, dass auch das mühsame Arbeit ist“, sagt Simmen. „Das ist super wertvoll“ und fördere das Verständnis auf beiden Seiten.
„Wir sind Partner für Bauern, Käsereien und den Handel“, definiert Bruno Schilcher sein Verständnis. „Wir wissen von beiden Seiten, was sie brauchen.“ Für die Hersteller sei wichtig, dass sie für größere Mengen einen zuverlässigen Abnehmer haben. Schilchers Ziel ist es deshalb nicht, ein riesiges Käsesortiment zu haben, sondern ein kompaktes mit einer überschaubaren Anzahl von Lieferanten, die dann aber auch aktiv mit ihren Produkten vermarktet werden.
Trotzdem können Schilcher-Kunden aus einem umfassenden Sortiment von 400 Käsesorten wählen – dank einer eingespielten Zusammenarbeit. Seit der Gründung arbeitet Schilcher eng mit der ÖMA (Ökologische Molkereien Allgäu) zusammen. Deren Gründungsidee war es, Allgäuer Bio-Käse für den Bio-Fachhandel zu bündeln. Im Laufe der Jahre wurde das Sortiment um weitere Käse aus Deutschland und den Nachbarländern ergänzt. Etwa ein Drittel des ÖMA-Lagers dort hat Schilcher Käse belegt. Dessen Einzelhandelskunden können über ihn auch direkt das ÖMA-Sortiment beziehen. Es liegt vermutlich an dieser besonderen Kombination, dass Gaby Fichtl sagen kann: „Die meisten unserer Kunden nutzen uns, um ihre Theke um Spezialitäten zu ergänzen“.
Zweier-Team bis zur Firmennachfolge
Gaby Fichtl ist seit einem Jahr Mitgeschäftsführerin und Mitgesellschafterin bei Schilcher Käse. Denn Bruno Schilcher geht auf die 65 zu und will sich langsam in den Ruhestand verabschieden. Seine 45-jährige Nachfolgerin ist mit Bio-Milch groß geworden – auf dem elterlichen Hof. „Dann hat es mich aber in die Baubranche verschlagen und ich bin vor fünf Jahren als Quereinsteigerin zu Schilcher Käse gekommen“, erzählt sie. „Seitdem lerne ich jeden Tag dazu, Brunos Fachwissen ist einfach der Wahnsinn.“
Gemeinsam ist beiden eine offene, unkomplizierte und großzügige Art, mit der sie ihren Fachhandel führen. „Wir streiten bei Reklamationen nicht groß rum“ sagt Gaby Fichtl und erzählt vom Reklamationshandy. „Wenn etwas nicht passt, können uns die Thekenverantwortlichen über Whatsapp anfunken, am besten gleich mit Bild dazu und dann haben sie am gleichen Tag noch ihre Gutschrift.“
Flexibel und schnell reagieren sieht sie als eine der großen Stärken des Unternehmens. „Wir wissen, was die Läden brauchen“, ergänzt Bruno Schilcher. Dazu haben die Jahre mit der „Käs-Hüttn“ in Spatzenhausen beigetragen und die Erfahrungen mit vier Marktständen, die Schilcher Käse bis letztes Jahr noch selbst betrieb. „Wir haben in Landsberg ganz anderen Käse verkauft als in Weilheim“ sagt Schilcher. Zwei oberbayerische Kreisstädte, die nur 40 Kilometer auseinander liegen, aber eine unterschiedliche Bevölkerungsstruktur haben.
Anfänge in einer Garage
Da die ganze Logistik inklusive Kommissionieren an das ÖMA-Lager delegiert ist, kann sich Schilcher Käse in Kinsau mit seinem kleinen Team von zehn Mitarbeitern ganz auf den Handel konzentrieren. Das Unternehmen residiert dort in einem hellen Gebäude mit Aussicht auf das Lechtal, das davor die Raiffeisengenossenschaft beherbergte.
„Früher gab es hier am Ort zwei kleine Käsereien, in denen die Bauern selber Romadur herstellten“, erzählt Bruno Schilcher. Der elterliche Hof liegt gleich ums Eck und wird heute als Bio-Hof von einem seiner sechs Brüder geführt. Er selbst hat im Unterdorf gebaut. „In der Garage stand noch nie ein Auto“, denn dort begann Bruno Schilcher seinen Käsehandel. Einer der Käse stammt von der Chascharia Val Müstair, einer kleinen Käserei in einem Seitental des Engadin in der Schweiz.
Zwölf Bio-Bauern, die in diesem Schweizer Nationalpark wirtschaften, liefern ihre Milch dorthin. „Ich bin einmal durch das Tal gefahren und sehe mitten im Dorf eine alte Käserei. Da habe ich angehalten“, erzählt Bruno Schilcher von seiner ersten Begegnung. Ihm hat die Ausrichtung der Bergbauern gefallen, die alle trotz der Hochlage noch Getreide anbauen und es wie ihr Fleisch gemeinsam regional vermarkten. Ihre 100 Tonnen Käse jedoch können sie im Münstertal nicht alleine essen– und vermarkten ihn über Bruno Schilcher nun auch in Deutschland.
Politischer Ziegenkäse
„Du musst offen sein und offen reden mit den Menschen“, beschreibt er seine Geschäftsphilosophie, die ihm viele treue Lieferanten eingebracht hat. Und es kommen immer neue dazu. Zuletzt die Dorfsennerei Prad im Südtiroler Vinschgau, nahe Mals. Der Ort ist in Bio-Kreisen bekannt als pestizidfreie Gemeinde, die sich seit Jahren gegen den massiven Pestizideinsatz im Südtiroler Apfelanbau wehrt.
Im Zuge dieses Widerstands bildete sich dort 2016 die Bürgergenossenschaft Obervinschgau, um eine regionale und ökologische Entwicklung voranzubringen. Eines der Projekte: die Wiederbelebung der Dorfsennerei, die nach über 100 Jahren vor dem Aus stand und seit 2019 nun die Bio-Milch von drei kleinen Ziegenhöfen zu Ziegenkäse verarbeitet. „Das ist nicht nur ein sehr leckerer, sondern auch ein politischer Ziegenkäse“, wirbt Schilcher für das Neuprodukt und fügt hinzu: „Ein Käse mit Geschichte – und das brauchen unsere Kunden“.
Drei Fragen an Bruno Schilcher und Gaby Fichtl
Welchen Stellenwert hat der Naturkosthandel für Euch?
Er ist unser wichtigstes Standbein, mit ihm sind wir groß geworden. Daneben beliefern wir nur Abo-Kisten-Anbieter und Markthändler.
Angst vor Bioland bei Lidl?
Nein. Wir wollen ja, dass mehr Bauern Bio machen und dazu brauchst du die Großen, das kann der Fachhandel alleine gar nicht alles vermarkten. Wir bedienen eine ganz andere Nische und wir verkaufen einen anderen Käse: mit guter Milch aus handwerklicher Produktion.
Gibt es mehr konventionelles Denken im Fachhandel?
Ja, gerade bei den großen Filialisten arbeiten immer mehr Manager, die bei Lidl & Co. waren und nur in Kosten denken. Das ist wie früher bei den Bauern, die in der Landwirtschaftsschule gelernt haben, wie toll Pestizide und Kunstdünger sind. Aber es kommen auch viele engagierte junge Menschen nach.
Zahlen – Daten – Fakten
Gründung: 1996 von Bruno Schilcher
Firmenstandort: Kinsau
Mitarbeitende: 10
Sortiment: Käse aus dem Allgäu, Deutschland und den Nachbarländern
Produkte: 400 (mit dem ÖMA-Sortiment)
Umsatz 2020: 9 Millionen Euro
Exportanteil: einen Händler in Amsterdam
Geschäftsführer: Bruno Schilcher, Gaby Fichtl
Website: www.schilcher-kaese.de
Kommentare
Registrieren oder anmelden, um zu kommentieren.