Die Anfänge der Naturkostbewegung waren alles andere als glamourös. Wer sich für Vollwertkost, Heilkräuter und alternative Ernährung stark machte, musste Spott ertragen – nicht selten fielen Begriffe wie „Kohlrabi-Apostel“. Doch mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der späten 1960er-Jahre begann sich das Bild allmählich zu ändern. Die 68er-Generation interessierte und engagierte sich für bewusste Ernährung und nachhaltigen Konsum. Die ersten Bioläden öffneten ihre Türen.
Aus dem Idealismus der frühen Pioniere entwickelte sich mit großem persönlichem Einsatz eine Naturkostbranche, die sich im Laufe der Jahrzehnte zunehmend professionalisierte. Heute gelten viele dieser einst belächelten Idealistinnen und Idealisten als erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer, die zeigen, wie Werte und wirtschaftlicher Erfolg Hand in Hand gehen können. Einige von ihnen feiern in diesem Jahr Geburtstag, fünf von ihnen ein Jubiläum. Die Gewürzmühle Brecht besteht sogar seit einem Jahrhundert.
100 Jahre Gewürzmühle Brecht
Markus Scheel, Co-Geschäftsführer Gewürzmühle Brecht
Die Gewürzmühle Brecht wurde 1925 von Eduard A. Brecht in Pforzheim gegründet. Der Reformbewegung verbunden und von der Anthroposophie inspiriert, verfolgte Brecht das Ziel, Ernährung gesünder zu gestalten. Kräuter und Gewürze galten ihm nicht nur als Aromaträger, sondern als Beitrag zu einem bewussten Lebensstil. Bereits 1936 setzte das Unternehmen auf biologisch erzeugte Produkte – damals vor allem im Sinne eines natürlichen Anbaus.
Nach Stationen in Neureut und Eggenstein bei Karlsruhe entwickelte sich die Gewürzmühle zu einem festen Bestandteil des deutschen Bio-Markts. 1984 wurde die Produktion am heutigen Standort Eggenstein ausgebaut, 2007 folgte die Übernahme durch die Albert Darboven Holding. Zertifizierungen wie Naturland und Partnerschaften mit Reformhäusern stärkten die Marktposition. 2019 erweiterte das Unternehmen sein Sortiment um funktionale Bio-Gewürze, 2023 erhielt das Verpackungsdesign einen modernen Auftritt.
Das Sortiment umfasst rund 200 Produkte, darunter Klassiker wie das Kräutersalz Classic, dessen Rezeptur noch vom Firmengründer stammt. Viele Mischungen entstehen nach Originalrezepten und werden in kleinen Chargen gefertigt. Die Kaltvermahlung bei unter 25 Grad Celsius bewahrt ätherische Öle und sorgt für ein intensives Aroma. Verarbeitet werden vorrangig ganze Gewürze, um höchste Produktsicherheit zu gewährleisten. Zutaten stammen überwiegend aus europäischem Bio-Anbau, ergänzt durch ausgewählte Rohstoffe aus internationalen Anbaugebieten mit strengen Qualitätsstandards.
Vom Pionierbetrieb zur etablierten Marke
Die Produktion erfolgt vollständig in Deutschland und trägt Manufaktur-Charakter: kleine Mengen, handverlesene Rohstoffe, manuelle Sortierung. Langjährige Kooperationen mit Erzeugerinnen und Erzeugern sichern Qualität und Nachhaltigkeit. Besonders bekannt sind Kräuter aus dem österreichischen Waldviertel, wo fruchtbare Böden und ideales Klima optimale Bedingungen bieten. Nachhaltigkeit zeigt sich auch in recycelbaren Verpackungen und einer Unternehmenskultur, die auf Offenheit und Qualitätsbewusstsein setzt.
Rund 37 Mitarbeitende arbeiten am Standort Eggenstein in Produktion, Mischung, Abfüllung und Verwaltung. Die enge Zusammenarbeit im Team und mit langjährigen Partnern prägt die Firmenphilosophie. Für die Zukunft plant die Gewürzmühle, neue Märkte zu erschließen und weitere Kundengruppen anzusprechen, ohne die Grundwerte – Qualität, Natürlichkeit und Fairness – zu verlassen.
Vom Pionierbetrieb für Bio-Gewürze hat sich die Gewürzmühle Brecht zu einer etablierten Marke mit treuer Kundschaft entwickelt. Viele kennen die Produkte aus der Kindheit und schätzen sie bis heute für ihre Qualität. Auch nach 100 Jahren bleibt das Leitbild unverändert: Genuss und Nachhaltigkeit gehören zusammen. Das Unternehmen will weiterhin hochwertige Gewürze anbieten, die durch Herkunft, Verarbeitung und Geschmack überzeugen – im Sinne des Gründers und für bewusste Genießerinnen und Genießer von heute.
Geschäftsführung: Albert Darboven, Markus Scheel, Martin Fischer
Mitarbeitende: 37
Produkte: 200
50 Jahre Rinklin Naturkost
Führungstrio bei Rinklin Naturkost: Jochen, Armin und Harald Rinklin (v.l.n.r.)
1955 stellte Wilhelm Rinklin Senior seinen Hof in Eichstetten auf ökologischen Landbau um. Damit gehörte er zu den frühen Pionieren einer Landwirtschaft ohne chemische Dünge- und Pflanzenschutzmittel. 1975 gründete sein Sohn Wilhelm mit weiteren Landwirten eine Erzeugergemeinschaft, um biologische Produkte zu vermarkten. Aus den Anfängen in der Scheune entwickelte sich der heutige Bio-Großhändler Rinklin Naturkost. 1981 entstand das Einzelunternehmen, 1989 folgte die Umwandlung in eine GmbH.
Heute beschäftigt das Familienunternehmen rund 220 Mitarbeitende. Mit 40 Lkw beliefert Rinklin mehr als 800 Kundinnen und Kunden in Süddeutschland, Frankreich und Luxemburg. Das Sortiment umfasst etwa 10.000 Artikel. Moderne Technik wie digitale Transportdokumente oder Kardex-Türme im Lager erhöhen Effizienz und sparen Ressourcen. Die Brüder Armin, Harald und Jochen Rinklin führen seit 2013 die Geschäfte.
Regional verankert und zukunftsorientiert
Die vergangenen Jahre waren von Herausforderungen geprägt. Inzwischen entwickelt sich das Geschäft mit der Außer-Haus-Verpflegung, Bioläden und Gastronomie wieder stabil. Kooperationen mit Partnern wie Pural und im Verbund „Die Regionalen“ sollen Synergien schaffen. Für die Zukunft setzt Rinklin auf enge Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette und eine ressourcenschonende Logistik.
Zum 50-jährigen Bestehen zeigt sich das Unternehmen fest in der Region verankert und zugleich zukunftsorientiert: mit klaren Werten, familiärer Kontinuität und dem Anspruch, Lebensmittel mit gesellschaftlichem Mehrwert zu handeln.
Geschäftsführung: Armin, Harald, Jochen Rinklin
Mitarbeitende: 220
Produkte: 10.000
50 Jahre Gepa
Gepa-Geschäftsführer Matthias Kroth (li.) und Peter Schaumberger
Die Gepa wurde am 14. Mai 1975 vom kirchlichen Entwicklungsdienst Misereor und der Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt Läden gegründet. Ziel war es von Beginn an, Handel als partnerschaftliches und gerechtes Miteinander zu gestalten. Mitte der 1980er-Jahre begann das Unternehmen, Tee und Kaffee biologisch zertifizieren zu lassen – ein Schritt, der damals gegen den Widerstand von Branchenverbänden ging, aber von Naturland-Gründer Richard Storhas unterstützt wurde.
Der Weg zum Bio-Kaffee war geprägt vom Austausch auf Augenhöhe mit Produzentenorganisationen wie der mexikanischen Kooperative UCIRI. Deren Mitglieder nutzten traditionelles Wissen, etwa den Anbau von Kaffeesträuchern unter Bananenstauden zum Schutz vor Wetterextremen. 1986 brachte Gepa mit „Café Orgánico“ den ersten fair gehandelten Bio-Kaffee Deutschlands auf den Markt, bis heute ein Bestseller. Heute beschäftigt Gepa 157 Mitarbeitende und vertreibt rund 340 Lebensmittel- und 600 Handwerksprodukte.
Ausbau der Produktvielfalt im Biohandel
Alle Lebensmittel sind zu 100 Prozent fair gehandelt. 88,5 Prozent des Lebensmittelumsatzes werden mit Produkten aus geprüft ökologischem Anbau erzielt. Wo Bio noch nicht möglich ist, unterstützt Gepa Partnerkooperativen in der oft jahrelangen Umstellung, um Marktchancen und ökologische Vorteile zu verbinden. Wegweisend war 2011 die erste Schokolade mit fairer Milch aus dem Berchtesgadener Land.
Fairer Handel bleibt Kern des Unternehmens – verbunden mit Themen wie Klimagerechtigkeit und nachhaltiger Landwirtschaft. Künftig will die Gepa ihre Produktvielfalt im Einzel- und Biohandel ausbauen, jüngere Zielgruppen erreichen und durch Agroforstwirtschaft die Resilienz von Produzentinnen und Produzenten gegenüber der Klimakrise stärken.
Geschäftsführung: Matthias Kroth, Peter Schaumberger
Mitarbeitende: 157
Produkte: 340 Lebensmittel, 600 Handwerksprodukte
50 Jahre Weiling
Weiling-Geschäftsführer Peter Meyer (l.) und Bernd Weiling (r.) mit Thomas Weiling (M)
1975 gründeten Bernd und Roswitha Weiling das Unternehmen in Coesfeld mit dem Ziel, künftigen Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Aus dem Keller ihres Wohnhauses betrieben sie zunächst einen Versandhandel mit Getreide, Hülsenfrüchten, Bienenprodukten, Haushaltsgetreidemühlen und Büchern. 1978 entstand das erste baubiologische Betriebsgebäude Europas, inklusive 200-Quadratmeter-Bioladen. Von Beginn an prägten klare Unternehmensleitlinien das Handeln – etwa das Bekenntnis zu Nachhaltigkeit und Partnerschaft auf Augenhöhe.
Kurz nach der Gründung entwickelte sich Weiling zu einem reinen Bio-Großhandel. Das Sortiment wuchs um frisches Obst und Gemüse, Molkereiprodukte, Käse, Wein und Naturkosmetik. Heute umfasst es über 12.000 Bio-Produkte, die ausschließlich an den inhabergeführten Bio-Fachhandel geliefert werden. Eine eigene Ladenstruktur gibt es bewusst nicht, um keinen Wettbewerb zu erzeugen.
Nachhaltigkeit in allen Bereichen
Mit rund 650 Mitarbeitenden und einem Umsatz von 267 Millionen Euro (2024) ist Weiling einer der führenden Bio-Großhändler Deutschlands. Die Marke „Bioladen“, seit 2002 Alleinstellungs-Sortiment, ist mittlerweile die drittstärkste im Bio-Fachhandel. Nachhaltigkeit zeigt sich in allen Bereichen – von der Logistik mit Bio-Gas betriebenen Lkw über Bauentscheidungen bis zu innovativen Dienstleistungen für Partnerbetriebe.
Für die kommenden Jahre setzt Weiling auf moderne Strukturen und Systeme, um auch im heutigen Wettbewerbsumfeld den Anspruch an ganzheitlichen, ehrlichen Biohandel zu erfüllen. Die Familie Weiling und Geschäftsführer Peter Meyer führen das Unternehmen gemeinsam mit einem engagierten Team – getragen von der Überzeugung, Bio mit Herz und Qualität zu handeln.
Geschäftsführung: Bernd Weiling, Peter Meyer
Mitarbeitende: 650
Produkte: 12.000
25 Jahre Ecofinia
Ecofinia-Geschäftsführer Gerrit Wiezoreck (l.) und Noël Meyer
Im Jahr 2000 stellte Ecofinia-Gründer Andreas Meyer auf der Biofach-Messe in Nürnberg erstmals seine Vivani-Schokolade vor: Bitter, Vollmilch und Vollmilch-Nuss in schlichter Verpackung an einem kleinen Stand im hintersten Eck. Trotz der anfänglichen Unscheinbarkeit wurde die Schokolade schnell zum Erfolg und das Unternehmen von Beginn an profitabel. Das Erfolgsgeheimnis der Vivani-Schokolade lässt sich knapp fassen. „Es war das richtige Produkt zur rechten Zeit“, sagt Andreas Meyer.
Meyer stammt aus einer Bio-Vollkornbäcker-Familie, ist selbst gelernter Bäcker, studierter Ökotrophologe und kam über seine Tätigkeit als Produktmanager bei Gepa zur Schokolade.
Bio-Schokolade: Ja. Selbst herstellen: Nein
Als er sich schließlich selbstständig machte, war er 42 Jahre alt, vierfacher Familienvater und verfolgte ein Geschäftsmodell mit effizienter Arbeitsteilung: Er wollte Bio-Schokolade entwickeln und vermarkten, jedoch nicht selbst herstellen. Dafür gewann er einen starken Partner – eine der ältesten deutschen Schokoladenfabriken, Ludwig Weinrich in Herford, die seither als Muttergesellschaft fungiert. Weinrich übernimmt Personal und Buchhaltung, unterstützt bei der zunehmend komplexen Rohstoffbeschaffung, produziert die Schokolade, lagert sie ein und hält 50 Prozent der Anteile.
Ecofinia ist die findige Tochter, die nach Vivani rasch weitere Marken ins Programm nahm, darunter die vegane iChoc oder Björnsted, ein Pendant zu Vivani für den skandinavischen Markt. Mit dem wachsenden Ruf der Bio-Schokolade kamen auch Private-Label-Aufträge namhafter Unternehmen hinzu.
Heute, 25 Jahre später, hat der inzwischen 67-jährige Gründer die Geschäftsführung an seinen Sohn Noël (28) und Gerrit Wiezoreck (36) übergeben. Noël verantwortet Marketing und Produktmanagement, Gerrit ist für den Vertrieb der Marke sowie der Private-Label-Produkte zuständig.
Geschäftsführung: Gerrit Wiezoreck, Noël Meyer
Mitarbeitende: 18
Produkte: 60
Noch mehr runde Geburtstage
30 Jahre Landkrone
Landkrone gehört zu Vitaquell. Karl-Walter Pfestorf, Schwiegersohn von Vitaquell-Gründer Hermann Fauser, brachte 1995 unter der Marke Landkrone die erste Bio-Margarine auf den Markt.
30 Jahre Moin
Bei Moin in Glückstadt produzieren rund 80 Mitarbeitende auf 4.500 Quadratmetern Bio-Backwaren für den deutschen und europäischen Markt.
30 Jahre Sanchon
Sanchon ist eine Marke der Naturwarenhandels GmbH Petersilchen, die aus einem Bioladen hervorging. Inhaber Peter Vogel tat sich für Sanchon mit zwei Weltenbummlern zusammen. Inspiriert von internationalen Garküchen bietet Sanchon unter anderem Aufstriche, Kochsoßen und Currypasten.
40 Jahre Byodo
Bei Byodo hat 1985 alles mit Tofu und Tempeh begonnen. Heute produziert der Hersteller in Mühldorf am Inn über 150 Produkte, darunter Essige, Speiseöle, Saucen, Pasta, Snacks und Desserts.
40 Jahre Peter Riegel
Peter Riegel aus Orsingen importiert internationale Weine aus ökologischem Anbau und beliefert damit hauptsächlich Wiederverkäufer mit großem Anteil in der Naturkostbranche.
40 Jahre Rosengarten
Die Naturkostmarke der Minderleinsmühle aus Neunkirchen am Brand ist spezialisiert auf Müslis, Backwaren, Schokoladenartikel und herzhafte Snacks.
60 Jahre Styx
Styx aus Niederösterreich verschreibt sich seit 1965 der Naturkosmetik und kombiniert für seine Produkte überliefertes Wissen, jahrelange Erfahrung und modernste Produktionstechnologie.
75 Jahre Huober Brezel
Huober Brezel aus Erdmannhausen im Schwäbischen produziert seit 1950 Laugenprodukte, seit 1982 auch für den Naturkosthandel und Reformhäuser.
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