Momentan ist die Lage für die Biobranche alles andere als rosig. Naturland-Präsident Hubert Heigl sprach auf den 5. Öko-Marketingtagen Mitte Oktober von einer „Schockstarre“. Keine neuen Ställe würden gebaut, kein Landwirt stelle derzeit von konventionellem Anbau auf Bio um. Kathrin Jäckel, als Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN) die einzige wahrnehmbare Vertreterin des Naturkosteinzelhandels am Tagungsort auf Schloss Kirchberg, konstatierte, der Fachhandel leide unter einem Luxus- (und damit Hochpreis-) Image, das sich darüber hinaus unter Corona-Bedingungen noch verfestigt habe.
Diana Schaack, Ökolandbauexpertin der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI), sieht für Öko-Lebensmittel bis Ende 2022 einen Umsatzrückgang von fünf Prozent. Im Vorjahr waren die Umsätze noch um sechs Prozent gestiegen. Die Biomarkt-Beobachterin verglich aber auch Umsatz- und Absatzentwicklungen 2019 mit denen von 2022 und sieht auf lange Sicht den derzeitigen Umsatzrückgang nur als „eine Delle. Insgesamt sind wir auf einem guten Weg.“ Die prinzipielle Bereitschaft der Verbraucher, Bio zu kaufen, sei ungebrochen, so Schaack. Allerdings kauften sie immer mehr Bio im LEH statt im Fachhandel, und greifen dort immer öfter zu den billigeren Handelsmarken. Insbesondere Drogeriemärkte und Discounter profitierten Umfragen zufolge von diesem Trend.
Der Fachhandel habe ein Positionierungsproblem, sagte Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel an der DHBW Heilbronn. Während der konventionelle LEH in Sachen Bio aufrüste und immer mehr Verbandsware einliste, gehe den Bioläden ein Alleinstellungsmerkmal verloren. Gleichwohl werde Nachhaltigkeit auch in Zukunft ein relevantes Kaufkriterium bleiben, so Rüschen, der für eine aktuelle Studie zum Bio-Fachhandel Experten befragt hatte. Diese sagen für den LEH weitere Gewinne von Bio-Marktanteilen voraus. Wohingegen im selbstständigen Naturkostfachhandel weitere Ladenschließungen absehbar seien.
Marion Hoffmann aus der Geschäftsleitung des Bio-Importeurs und -Herstellers Lehmann Natur, appellierte an den Fachhandel, sich für „Hybrid-Käufer“ zu öffnen, die nicht nur ökologisch produzierte Lebensmittel kaufen wollen. Der erste Schritt hierzu sei, anzuerkennen, dass es diesen Käufertyp gebe, so Hoffmann in einer Videoschalte.
Tegut-Geschäftsführer Thomas Gutberlet warb dafür, beim Thema Bio auch diejenigen mitzunehmen, die sich noch auf dem Weg dorthin befänden. „Bio gegen den Rest der Welt“ sei nicht die Lösung, so Gutberlet. Stattdessen sei Kompromissbereitschaft gefragt, um voranzukommen. Das gelte auch beim Preis: Um Kunden für Bio zu begeistern, könne auf Preisaktionen und Preiseinstiegsprodukte nicht verzichtet werden, sagte Gutberlet. Es brauche Frequenzprodukte, um Kunden auch auf andere Waren wie etwa Bio aufmerksam zu machen. Er sei zufrieden, mit der Bio-Eigenmarke Tegut zum kleinen Preis auch preisbewusste Kunden anzusprechen und vermutet, damit solche zu halten, die einerseits Bio treu bleiben, aber andererseits angesichts der Inflation beim Einkauf sparen wollen.
Neben Einstiegspreisen ist dem LEH aber auch sehr wichtig, mit Verbandsware mehr Profil zu gewinnen. „Wir wollen Premium-Bio in die Mitte der Gesellschaft bringen“, sagte Artur Findling, verantwortlich für den Bio-Einkauf bei Kaufland. Die Schwarz-Tochter führt neben ihrer Preiseinstiegs-Eigenmarke K-Bio mehr als 250 Produkte in Demeter-Qualität und kooperiert seit kurzem auch mit Bioland. Der größte deutsche Anbauverband soll künftig einen „relevanten Anteil“ an den K-Bio-Produkten zertifizieren, so Findling.
Sehr nah am Fachhandel ist Edeka mit seiner Bio-Schiene Naturkind. Neben drei reinen Bio-Märkten gebe es deutschlandweit inzwischen 25 Naturkind-Welten in Edeka-Märkten mit ausgebildeten Naturkostfachberatern, sagte Robert Poschacher, Geschäftsführer der Naturkind Lebensmittelvertriebs-GmbH, in seinem Vortrag. Und wöchentlich kämen neue dazu. Die Expansion scheint so schnell zu gehen, dass nicht einmal die Naturkind-Webseite mit dem Zählen hinterherkommt. Dort waren zuletzt 15 Standorte aufgelistet. Poschacher bezeichnete das Shop-in-Shop-System als „Marktplatz für Bio-Produkte“ und „Brückenbauer zwischen Bio-Bauern und Kunden“. Sein Ziel: Naturkind soll Kunden zu treuen und loyalen „Fans“ machen. Als Attacke auf den Bio-Fachhandel verstehe er das Konzept nicht: „Naturkind ist ein Angriff auf den Klimawandel, und nur auf den“, betonte er.
Auch Rewe arbeitet kontinuierlich am Ausbau seines Bio-Angebots. Rund 800 Produkte umfassen allein die Eigenmarken Bio und Bio+Vegan, etwa die Hälfte davon trägt das Naturland-Siegel. Das Geschäft mit ökologisch erzeugten Lebensmitteln sei zuletzt stärker gewachsen als die Rewe selbst, sagte Markus Wewer, der seit 2017 als Referent für ökologischen Landbau das Qualitätsmanagement der Bio-Eigenmarken von Rewe führt. „30 Prozent Bio vom Acker – das muss auch in den Regalen landen“, so Wewer, der auch Vorstand im Bio-Spitzenverband Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) ist und dort den Bereich Handel vertritt. Dazu wolle auch die Rewe ihren Beitrag leisten. Ähnlich äußerte sich sein BÖLW-Vorstandskollege Hubert Heigl, der vor einem Abnahmemangel warnte. 30 Prozent Bio müsse auch in den Handel kommen, sagte der Naturland-Präsident.
Wewer forderte die Bio-Verbände auf, konventionelle Hersteller einzubinden und ihnen den Zugang zu Bio zu ebnen. Sein Argument: Selbst große Bio-Fachhandelsmarken seien den Kunden der Rewe und des dazugehörigen Discounter Penny weitestgehend unbekannt.
Bio-Vertreter aus dem Publikum reagierten mit deutlicher Skepsis auf die Zusammenarbeits-Angebote des LEH. Boris Voelkel, Geschäftsführer des Bio-Saft-Herstellers Voelkel, vermutete: „Wenn wir die Partner mit ins Boot holen, die ,noch nicht ganz so weit' sind, bedeutet das für Voelkel: Wir dürfen dann kleine Mengen des Nischenprodukts Sanddorn-Apfelsaft verkaufen, während andere die Großaufträge für Apfelsaft bekommen.“ Und: „Bei Ihnen steht der Preis immer noch stark im Fokus. Das funktioniert so nicht bei Bio.“
Charlotte Overmeyer, geschäftsführende Vorständin bei Demeter im Norden, vermutete, bei einer Kooperation mit dem konventionellen LEH würden Bio-Kleinbetriebe untergehen, weil es ihnen gar nicht möglich sei, den Mengenbedarf des LEH zu befriedigen. „Dann müsse sich die Landwirtschaft organisieren, Erzeugergemeinschaften bilden und die Ware bündeln", erwiderte Marcus Wewer.
Klar wurde in Kirchberg: Der Weg hin zu einem nachhaltigen Ernährungssystem führt nicht nur über die eine Route. Es gab während der beiden Tage viele bunte Beispiele, wie öko-soziales Wirtschaften im Kleinen erfolgreich funktionieren kann – von der Bohlsener Mühle über die Neumarkter Lammsbräu und die Verbraucherorganisation „Du bist hier der Chef“ bis hin zum Catering-Unternehmen Apetito. Diese Einzelwege sind es, die gemeinsam auf das gleiche Ziel zusteuern.
Doch klar war allen Anwesenden auch: Es müssen noch viel mehr Verbraucherinnen und Verbraucher von Bio überzeugt werden, um überhaupt in die Nähe des 30/30-Ziels zu kommen. „Wir brauchen einen Systemwandel in den Ernährungsstilen“, sagte Alexander Beck, geschäftsführender Vorstand beim Verband der Bio-Lebensmittelhersteller AÖL. Ohne staatliche Eingriffe wird das freilich nicht gelingen. „Wenn in 20 Jahren sechs bis sieben Prozent Marktanteile erreicht wurden, erscheint es unmöglich, in acht Jahren 24 Prozent Marktanteile zu bekommen“, sagte Stephan Rüschen mit Blick auf den Bio-Markt.
Marcus Wewer forderte denn auch von der Politik eine Bio-Informationskampagne. Katrin Zander, Professorin für Agrar- und Lebensmittelmarketing an der Universität Kassel, sprach von einer Kommunikationsoffensive. Der Bio-Mehrwert für Umwelt, Klima und Gesundheit müsse erklärt werden. Und das auch bereits in Kindergärten, Schulen und Ausbildung, wie eine Tagungsteilnehmerin einwarf. Doch erklären allein reiche nicht, so Zander. Es gehe auch darum eine emotionale Bindung herzustellen.
Die Forderung nach einer staatlichen Bio-Informationskampagne war nur eine von zahlreichen Appellen an die Politik, die der anwesende Burkhard Schmied, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, mit auf den Weg zurück nach Berlin nahm, darunter: Stickstoff- und Pestizidsteuer einführen, Mehrwertsteuer auf Bio-Produkte abschaffen, Bürokratie abbauen, Verursacherprinzip für konventionell arbeitende Erzeugungs- und Ernährungswirtschaft und damit wahre Preise durchsetzen, Bio für Außer-Haus-Verpflegung fördern oder die Förderung der Züchtungsforschung im Hinblick auf Wassermangel und Klimawandel.
Schmied räumte ein: „Wir müssen deutlich schneller werden“. Dabei verwies er auf die „Zukunftsstrategie Ökolandbau“ seines Ministeriums, deren erster Entwurf zur Biofach-Messe fertiggestellt und im Sommer 2023 verabschiedet werden soll. Die Zeit drängt. Oder um es mit den Worten von AÖL-Vorstand Alexander Beck zu formulieren: „Wir müssen ins Tun kommen“.
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