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Neue Legislaturperiode

Bio-Branche stellt Forderungen an die neue Regierung

Zwei Tage nach der Bundestagswahl ist noch unklar, welche Parteien Deutschland künftig führen werden. Die Bio-Branche hat derweil ganz konkrete Vorstellungen davon, welche Themen eine neue Regierung anpacken muss.

Nach der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag haben sich Organisationen aus der Bio-Branche mit Forderungen an die künftige Bundesregierung zu Wort gemeldet. Klimaschutz und Nachhaltigkeit müssten bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen im Mittelpunkt stehen, fordert etwa der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW).

Um seine Forderungen zu konkretisieren, hat der BNW fünf Punkte formuliert, die dem Verband zufolge in das Programm der künftigen Regierung gehören (siehe Infobox): wahre Preise für Energieträger und Rohstoffe, den Ausbau der erneuerbaren Energien, Kreislaufwirtschaft im Sinne des Green Deal, den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft und die Förderung nachhaltig wirtschaftender, gemeinwohlorientierter Unternehmen. „Egal welche Regierungskonstellation es am Ende macht, wir brauchen einen mächtigen Nachhaltigkeitsschub in fast allen Politikfeldern“, so BNW-Geschäftsführerin Katharina Reuter.

5 Sätze, die der BNW im Koalitionsvertrag lesen möchte

1. Wahre Preise: „Die Preise aller Energieträger und Rohstoffe werden künftig auch die gesellschaftlichen Schäden abbilden, die aus ihrer Produktion und Förderung entstehen.“
Die Parteien vereinbaren angemessene CO2-Preise für alle fossilen Energieträger und chemischen Grundstoffe sowie eine Pestizidabgabe für die Landwirtschaft. Um faire Märkte für Klimaschutz zu schaffen, gehören außerdem die Mineralölsteuer auch für die Kunststoffherstellung genauso wie die Besteuerung von Flug-Kerosin dazu. „Ohne Preise, die die ökologische Wahrheit sagen, werden wir keine wirtschaftliche Dynamik für die Nachhaltigkeits-Wende entfachen“, so BNW-Geschäftsführerin Katharina Reuter.

2. Energiepolitik: „Die Bundesregierung wird Sektorziele über 2030 hinaus und den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien für ein klimaneutrales Deutschland festlegen.“
„Zentrale Mittel dabei sind der Kohleausstieg bis 2030 und der massive Ausbau der erneuerbaren Energien auf jährlich mindestens 20 GW Photovoltaik, 8 GW Wind Onshore und 3,5 GW Offshore“, so Reuter. Die Energiewirtschaft ist weltweit für mindestens 80 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich und muss vollständig auf erneuerbare Energien umgebaut werden. Zudem benötigt die Dekarbonisierung der Stahl-, Chemie- und Zementindustrie enorme Mengen an grünem Wasserstoff – und damit enorme Mengen erneuerbarer Energie.

3. Circular Economy: „Kreislaufwirtschaft im Sinne des Green Deal wird als maßgebliche Steuerungs- und Koordinierungsaufgabe im Kanzleramt angesiedelt, Plastikstrategie und Recyclinglabel werden entwickelt.“
„Wir fordern neben Mindestrecyclatquoten außerdem einen gesetzlichen Rahmen, der eindeutige Vorgaben zum Produktdesign (Design for Recycling), der Haltbarkeit und der Einrichtung von getrennten Sammelsystemen für bioabbaubare Kunststoffe beinhaltet“, so Reuter.

4. Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften und soziale Innovationen: „Die Bundesregierung entwickelt eine soziale Innovationsstrategie für die Förderung nachhaltig wirtschaftender, gemeinwohlorientierter Unternehmen.“
Die Parteien vereinbaren ein ressortübergreifendes Konzept. Der rechtliche Rahmen für nachhaltig wirtschaftende Unternehmen (z.B. Genossenschaften, Sozialunternehmen, Integrationsunternehmen und Unternehmen in Verantwortungseigentum) wird verbessert. „Außerdem sollte die gesamte Förderpolitik des Bundes an den Sustainable Development Goals und Klimaschutzzielen ausgerichtet werden“ so Reuter.

5. Land- und Ernährungswirtschaft: „Die Bundesregierung vereinbart ein Ausbauziel von 30% für den ökologischen Landbau in Deutschland bis 2030.“
„Dazu muss die Bundesregierung Steuern, Abgaben und Fördermittel konsequent an Nachhaltigkeitskriterien ausrichten“, so Reuter. Für Klimaneutralität bis 2045 ist es auch nötig, die CO2-Emissionen aus der Landwirtschaft drastisch zu senken.

Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), sieht den Umbau des Ernährungssystems „und zwar vom Acker bis zum Teller“, als zentrale Aufgabe der künftigen Bundesregierung. Weitermachen wie bisher sei „fahrlässig, unwirtschaftlich und rückwärtsgewandt“. Wie es anders gehe, wie Wirtschaft und Umweltschutz zusammengehen, zeige die Bio-Branche jeden Tag.

„Bio ist klar gesetzlich geregelt, die Kontrolle gut organisiert, die Kundinnen und Kunden greifen zu Öko und mehr Betriebe wollen gern umstellen. Die neue Bundesregierung kann Öko nutzen, um den Sektor enkeltauglich zu machen“, so zu Löwenstein. Dazu brauche es passende Rahmenbedingungen von der Agrarpolitik bis zur Züchtungsforschung anstelle „bloßer Nachhaltigkeits-Rhetorik, Freiwilligkeit oder Verzögerungstaktik“. Die neue Bundesregierung müsse den Bio-Umbau jetzt starten, anders sei das Ziel 25 Prozent Ökolandbau bis 2030 nicht zu schaffen, befürchtet der BÖLW.

Der Bio-Anbauverband Naturland und die Tierschutzorganisation Provieh fordern die im neuen Bundestag vertretenen Parteien auf, sich für einen Umbau der Nutztierhaltung einzusetzen. Damit das gelingen kann, müsse die nächste Bundesregierung vor allem zwei Dinge sicherstellen: echte Transparenz für die Verbraucherschaft und langfristige Zukunftsperspektiven für die Betriebe. Die Pläne dafür liegen laut Naturland-Präsident Hubert Heigl mit den Vorschlägen der Borchert-Kommission, der er als Vertreter des Öko-Landbaus selbst angehörte, bereits auf dem Tisch und müssten nur noch umgesetzt werden.

Forderungen für eine artgerechtere und umweltverträgliche Tierhaltung stellt auch der Anbauverband Biopark. „Die artgerechteste Form der Haltung von Wiederkäuern ist die Weidetierhaltung. Daher fordern wir von der neuen Bundesregierung, die Tierhaltung von Raufutter fressenden Tieren auf Grünland stärker zu fördern und diese Wirtschaftsweise höher zu honorieren“, teilt Biopark-Geschäftsführerin Delia Micklich mit. Darüber hinaus setzt sich der Verband für eine standortangepasste und
flächengebundene Tierhaltung ein. Als wünschenswerte Kennzahl nennt Micklich – wie im ökologischen Landbau üblich – eine Grenze von zwei Großvieheinheiten pro Hektar. Das würde bedeutet, dass in einigen viehstarken Regionen Deutschlands wie Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen die Tierbestände abgebaut werden müssten.

Kampagne soll artgerechte Tierhaltung erkennbar machen

Gemeinsam mit Provieh kündigte Naturland eine Kampagne an, damit Verbraucher Produkte aus artgerechter Haltung zuverlässig erkennen können. Geplant ist die Einführung einer verpflichtenden Haltungskennzeichnung für alle tierischen Produkte in Deutschland und in der EU.

„Der freiwillige Ansatz der letzten Bundesregierung ist gescheitert, jetzt ist es Zeit für eine flächendeckende transparente Kennzeichnung aller Haltungsformen“, so Valerie Maus von Provieh. „Deshalb muss im Koalitionsvertrag das klare Ziel festgeschrieben werden, eine gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung für alle tierischen Produkte innerhalb der nächsten Legislaturperiode national umzusetzen und auf EU-Ebene voranzutreiben.“ Mitte des Jahres scheiterte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner damit, ein staatliches Tierwohllabel einzuführen. Ein großer Kritikpunkt war, dass das Label nicht verpflichtend sein sollte.

Auf ihrer Kampagnen-Webseite geben Naturland und Provieh Hintergrundinfos zu den derzeit dominierenden Haltungsformen in der Landwirtschaft, zum Tierwohl im Öko-Landbau und Details zu ihren Forderungen nach einer gesetzlich verpflichtenden Haltungskennzeichnung. Gemeinsam setzen sich die beiden Organisationen seit langem für mehr Transparenz bei der Tierhaltung ein, so etwa mit dem Kooperationsprojekt „Rundum Öko“, bei dem Verbraucher mittels Virtual Reality erleben können, wie artgerechte Tierhaltung im Öko-Landbau funktioniert.

Auch Biopark spricht sich für ein verpflichtendes Tierwohllabel aus. „Eine freiwillige Selbstverpflichtung von Seiten des Lebensmitteleinzelhandels genügt uns hierbei nicht“, teilt Micklich mit.

Weitere Informationen zum Thema

Kampagnen-Webseite „wirsindzukunft.earth" von Naturland und Provieh

Kooperationsprojekt „Rundum Öko“ von Naturland und Provieh

GLS Bank-Vorstand plädiert in einem offenen Brief für die Ampel-Koalition

Thomas Jorberg, Vorstandssprecher der GLS Bank, spricht sich in einem offenen Brief für eine Ampel-Koalition aus. Das Schreiben im Wortlaut:

Sehr geehrte Frau Baerbock, sehr geehrter Herr Scholz, sehr geehrter Herr Lindner, sehr geehrte Parteivorsitzende und Stellvertreter*innen von SPD, Grünen und FDP, „Freiheit, Soziale Gerechtigkeit und ökologische Zukunftsfähigkeit“ – so könnte das neue Regierungsprogramm einer Koalition aus FDP, SPD und Grünen überschrieben sein. Voraussetzung: Die drei Parteien müssten sich auf ihre jeweiligen Gründungsimpulse besinnen und daraus ein gemeinsames Zukunftsprogramm für unser Land entwickeln.

Jede Partei würde das Beste aus ihrem Wertebaukasten beitragen: Die FDP größtmögliche Freiheit der Menschen in Bildung, Forschung, Kultur Wissenschaft und Berufsausübung. Die SPD gegenseitige Rücksichtnahme, soziale Gerechtigkeit, Grundversorgung und Gleichbehandlung. Die Grünen würden Nachhaltigkeit und Enkeltauglichkeit durch Klima- und Artenschutz beisteuern, durch eine Wirtschaft mit der Natur statt gegen sie. Das klingt nach einem harten Wahlkampf wie Träumerei, dies sind aber tatsächlich die Grundvisionen Ihrer drei Parteien. Ihre Orientierung bei den Koalitionsverhandlungen, in der Innen- wie der Außenpolitik, sollten die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen sein. Zu denen zählt auch das 1,5 Grad-Ziel beim Klimaschutz. Diese Ziele decken sich mit eben diesen drei Grundvisionen. Ihre Parteien sollten jedoch kritisch hinterfragen, wie sie ihre Ziele erreichen wollen. Und ob ihre bisher vorgeschlagenen Lösungen dafür geeignet sind.

Beispiel Freiheit: Die Würde und Freiheit jedes Menschen verbriefen die ersten Artikel unseres Grundgesetzes – nicht die Freiheit des Marktes oder die der Wirtschaft und Unternehmen.

Beispiel Klimaschutz: Ökologie sollte nur im Ausnahmefall durch Verbote, sondern in der Regel durch die Bepreisung des Naturverbrauchs oder der Emissionen in Höhe der langfristigen Schäden, die sie verursachen, bewirkt werden. Dann werden Unternehmen in entsprechende Technologien und Verfahren investieren, weil sie sich rechnen. Dazu muss der Preis für CO2 verbindlich, unwiderruflich und ausnahmslos sein, damit eine sichere Kalkulationsbasis für private Investitionen entsteht. Je klarer diese Rahmenbedingungen sind, desto mehr privates Kapital steht für die Transformation zur Verfügung und desto weniger bedarf es staatlicher Subventionen. Die Schuldenbremse im Grundgesetz sieht ausdrücklich eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen vor. Es dürfte nicht im Sinne dieser Grundgesetzregelung sein, der Naturkatastrophe Klimaerhitzung tatenlos zuzusehen - um erst, wenn sie eingetreten ist, für die anschließende Schadensbeseitigung Kredite aufzunehmen.

Beispiel soziale Gerechtigkeit: Sie muss sich auch auf die Folgen des Klimaschutzes beziehen. Vermögende Kapitalgeber haben in der Vergangenheit einen überproportionalen Nutzen aus der kostenfreien Naturschädigung durch Gewinnausschüttungen und Kurssteigerungen gehabt. An den dadurch entstandenen Lasten und Risiken sollten sie nun auch entsprechend beteiligt werden. Menschen mit Niedrigeinkommen benötigen Unterstützung.

Ein immer größerer Teil der Wirtschaft und der Menschen steht für eine Transformation in eine freie, sozial gerechte und ökologisch zukunftsfähige Gesellschaft. Die Bereitschaft, entsprechende Maßnahmen und Transformationslasten zu tragen, ist mehrheitlich vorhanden. Sie müssen jetzt politisch getroffen werden.

Mit den besten Grüßen

Thomas Jorberg
Vorstandssprecher GLS Bank

(mis, kam)

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