Die Pflicht zur Weidehaltung ist bereits seit 2007 in der EU-Öko-Verordnung verankert und schreibt vor, dass Pflanzenfresser wie Rinder, Schafe und Ziegen in der ökologischen Landwirtschaft während der Weidezeit ständigen Zugang zu Weideland haben müssen. Seither wurden in Deutschland jedoch Ausnahmen gestattet, wenn strukturelle Hindernisse vorlagen. Dann genügte für eine Bio-Zertifizierung auch ein ständiger Zugang zu Freiflächen und das Angebot an frischem Grünfutter.
Diese Praxis wird von der EU-Kommission seit dem 1. Januar 2025 nicht mehr akzeptiert, die Weidepflicht ist nun für alle Bio-Betriebe verpflichtend. Erlaubt sind nur noch vorübergehende Ausnahmen, beispielsweise bei ungünstiger Witterung oder behördlichen Anordnungen.
Das stellt viele Betriebe vor große Herausforderungen. So schätzt etwa der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, dass allein in Süddeutschland etwa ein Viertel der Biomilchbetriebe die Vorgaben nicht erfüllen kann. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: etwa beengte Ortslagen, fehlende Weideflächen in Stallnähe oder Hindernisse wie stark befahrene Straßen. Eine strikte Weidepflicht könnte laut Verband zu einem Rückgang der Bio-zertifizierten Betriebe und somit der Biomilchproduktion führen.
Politiker fordern Lösungen für Härtefälle
Daher fordern Politiker wie Bio-Verbände praktikable Lösungen für Betriebe mit schwierigen Standortbedingungen. Der geschäftsführende Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, sagte bei einem Gespräch Landwirtinnen und Landwirten in Baden-Württemberg: „Jede Bio-Landwirtin und jeder Bio-Landwirt will den Tieren die beste Umgebung bieten, das versteht sich doch von selbst. Einzelne Betriebe, etwa solche, die mitten im Dorf liegen, können die EU-Vorgaben zum Weidegang aber nicht in Gänze und sofort umsetzen.“ Er sei daher mit dem EU-Agrarkommissar Christophe Hansen im Austausch, um praktikable Lösungen für diese Härtefälle zu finden. Das Ziel müsse sein, „diesen Betrieben mehr Zeit zu verschaffen, so dass sie Konzepte entwickeln und umsetzen können, mit denen sie ihre Betriebe weiter ökologisch bewirtschaften können“.
Auch die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber, die als Özdemirs Nachfolgerin gehandelt wird, will sich bei der EU-Kommission für eine Änderung der EU-Öko-Verordnung einsetzen. „Wir brauchen in der EU-Ökoverordnung eine Regelung für absolute Härtefälle, um die Produzenten von Biolebensmitteln nicht zur Aufgabe zu zwingen“, wird Kaniber in einer Pressemitteilung zitiert. Darin stellt sie aber auch klar: „Die Weidehaltung ist ein zentraler Bestandteil des Ökolandbaus. Sie fördert die Biodiversität und sorgt für gesunde Tiere. Deshalb ist der Grundsatz der Weidepflicht richtig.“
Forderungen der Verbände
Bioland-Präsident Jan Plagge begrüßt auf LinkedIn die Unterstützung der bayerischen Landwirtschaftsministerin. Nur mit einer verlängerten Übergangszeit von beispielsweise fünf Jahren könne verhindert werden, dass Betriebe aus der Bio-Tierhaltung aussteigen, „obwohl eine Lösung für die Umsetzung der Weidepflicht bei ihnen in greifbarer Nähe ist. Das wäre enorm wichtig – denn Bio-Milch ist gefragt und aktuell sehr knapp“, so Plagge.
Auch Naturland fordert eine praxisnahe und regional angepasste Umsetzung der EU-Ökoverordnung. Immer mehr und immer kleinteiligere Regeln würden die Betriebe belasten, sodass der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft ins Stocken zu geraten drohe. „Die Nachfrage nach Bio wächst. Die EU-Ökoverordnung ist eine wichtige Grundlage für diesen Erfolg, weil sie Vertrauen schafft, indem sie den Rahmen für eine umfassend nachhaltige Lebensmittelerzeugung setzt. Dieser Erfolg darf jetzt aber nicht durch übermäßige Detailregelungen gefährdet werden“, so Naturland-Präsident Hubert.
Auch der BÖLW befürwortet grundsätzlich die Weidehaltung für Wiederkäuer im Ökolandbau. Diese könne jedoch nicht zu jeder Zeit von allen Betrieben und in allen Tiergruppen vollständig umgesetzt werden, erklärt der Verband in einem Positionspapier. In der Praxis zeige sich, dass "weder angemessene Übergangszeiträume für Härtefälle noch eine ausreichende Flexibilität für einzelne Tiergruppen und spezifische regionale und betriebliche Situationen" vorgesehen seien. Diese seien aber notwendig, damit möglichst viele Biobetriebe bestehen bleiben könnten. (nab)
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