Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Vorbild Österreich

Verkauft Aldi bald auch Spitzen-Bio?

Der Discounter bietet in Österreich mit seiner Tochter Hofer hochwertige Bio-Produkte an – fast ausschließlich ohne Anbauverbände. Ein Vorbild auch für den deutschen Markt?

Bio ist nicht gleich Bio. Die Maxime von Kunden, die im Naturkostfachhandel einkaufen, ist nach Edeka und Rewe inzwischen auch in den Gängen der Discounter angekommen. Ende Juli verkündete Kaufland seine Mitgliedschaft bei Demeter. Bereits seit Herbst 2018 verkauft Lidl dutzende Produkte seiner Eigenmarke Bio Organic auf denen das Bioland-Siegel prangt.

Ein Jahr nach dem Start verkündete der Discounter ein Bio-Wachstum „im höheren zweistelligen Bereich“. Zeitweise war von Plus 44 Prozent die Rede. Zum Vergleich: 2019 gaben die Deutschen 11,97 Milliarden Euro und damit insgesamt knapp zehn Prozent mehr für Bio-Lebensmittel aus als im Vorjahr. „Lidl ist im Bio-Geschäft gemessen an den Zuwächsen derzeit einer der am schnellsten wachsenden Händler“, zitierte die „Lebensmittelzeitung“ einen GfK-Experten Ende 2019.

Dem BÖLW zufolge waren die Erzeugnisse der deutschen Bio-Verbände zuletzt begehrter als Produkte mit EU-Bio-Siegel, die einen vergleichsweise geringeren Standard haben. Wie attraktiv Verbandsware ist, hat gerade erst auch eine groß angelegte Umfrage des Stern ergeben, bei der Demeter und Bioland zu den nachhaltigsten Marken gewählt wurden.

Aldi muss auf Bio-Offensive der Konkurrenten reagieren

Ausgerechnet Aldi konnte von diesem Trend bislang nicht profitieren. Denn anders als die Konkurrenz spielt der Bio-Marktführer mit 13 Prozent Umsatzanteil (noch) nicht in der Verbandsliga. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass auch bei Aldi Verbandsware im Regal steht. Doch das hilft wenig, wenn es nicht kommuniziert werden kann.

Seit vergangenem Jahr soll zwar Schneekoppe die Bio-Kompetenz von Aldi Süd und Nord pushen. Doch ob die einst strahlende, dann strauchelnde und nun auf Bio-Naturkost umgemodelte Reform-Marke dafür steht, was anspruchsvollere Kunden wollen, ist fraglich, zumal es mitunter preislich kaum Unterschiede zur der gemeinsamen Eigenmarke Gut Bio gibt und manche Produkte der beiden Linien vom gleichen Hersteller kommen, der in der Regel eher konventionell produziert.

Dass Aldi auf die Qualitätsoffensiven der Konkurrenten reagieren wird, gilt als sicher. In der Bio-Branche rechnet man damit, dass Aldi die Bio-Strategie seiner Österreich-Tochter Hofer nach Deutschland holen könnte. „Seit der letzten BioFach wird darüber offen geredet“, sagt ein Vertreter der österreichischen Bio-Branche, der anonym bleiben möchte.

Hofer gehört seit 1962 zu Aldi Süd und erfüllt mit seiner 2006 eingeführten Marke „Zurück zum Ursprung!“ (ZZU) höchste Qualitätsstandards – nahezu ohne Kooperationen mit Anbauverbänden. Stattdessen hat ZZU die Anforderungen an seine Produkte selbst erarbeitet und sich darauf mit seinen Lieferanten und Herstellern verständigt.

Chargengenaue Rückverfolgung bis zum Bauern

Ein wesentlicher Punkt bei ZZU ist die Regionalität. Fast alles, was unter der Marke verkauft wird, wird in Österreich angebaut und produziert. Laut einer Nachhaltigkeitsstudie der Universität Graz reichen die Produktions- und Verarbeitungsrichtlinien, die Hofer seinen Zulieferern vorschreibt, teilweise an die Demeter-Vorgaben heran.

Woher die ZZU-Produkte kommen, können die Kunden für jede Charge online bis zum Bauern nachverfolgen. Der Marke liegt der sogenannte „Prüf Nach!“-Standard zu Grunde. Der geht Greenpeace zufolge „in vielen Punkten erheblich über die gesetzlichen Vorgaben für Bio-Produkte hinaus“ und gehört für die Umweltorganisation neben den Qualitätsausweisen von Demeter, AMA und Bio Austria zu den „derzeit besten Bio-Zeichen“ Österreichs.

Entwickelt hat ZZU und Prüf Nach der österreichische Bio-Unternehmer Werner Lampert, der zuvor bereits für die Rewe-Group-Tochter Billa die Marke „Ja! Natürlich“ auserdacht hat, die teilweise weit über den AMA-Bio-Standard hinausgeht. Lampert gilt als Bio-Pionier mit einer Mission: Mehr hochwertiges Bio für alle.

Aldi-Tochter Hofer: Ein Discounter setzt Bio-Standards

Seit 2006 gibt es die Bio-Linie Zurück zum Ursprung.

Zurück zum Ursprung 450 der insgesamt 1500 Produkte im Hofer-Standardsortiment tragen das Label der Bio-Marke Zurück zum Ursprung (ZZU), einschließlich saisonaler Ware. 

Prüf Nach! ZZU-Landwirte verpflichten sich der Einhaltung des Prüf Nach-Standards (s. nächsten Punkt), der in vielen Bereichen weit über die EU-Bio-Verordnung hinausgeht und laufend evaluiert und angepasst wird.

Prüf Nach legt Wert auf Regionalität, Umweltschutz, Gentechnikfreiheit, Tierschutz, Qualität, Transparenz, Verantwortung für Konsumenten und Fairness für Partner.

Kontrollen Die Einhaltung der Bio- und Nachhaltigkeitsstandards finden Hofer zufolge mindestens einmal pro Jahr und meist angekündigt statt. Unter anderem prüft das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FIBL).

Werner Lampert: Es gibt Gespräche mit Aldi und Naturland

Seit Anfang 2020 hat sein Beratungsunternehmen einen deutschen Ableger in Gräfelfing, nur hundert Meter entfernt von Naturland. Dort wisse man um den neuen Nachbarn, sagt Pressesprecher Markus Fadl und bekräftigt auf Nachfrage, dass das Naturland-Zeichen für Discounter nach wie vor nicht zur Verfügung stehe.

Angesprochen auf das Gerücht, die Lampert Nachhaltigkeits GmbH könnte Aldi von Oberbayern aus dabei helfen, das ZZU-Konzept nach Deutschland zu bringen, sagt Geschäftsführerin Brigitte Hanzmann-Frodl: „Dieses Gerücht hören wir schon seit einigen Jahren.“ Die GmbH habe jedoch andere Gründe. „Wir suchen im Bereich Nachhaltigkeit Synergien im deutschsprachigen Raum“, so Hanzmann-Frodl.

In einem Interview mit Werner Lampert nach Erstveröffentlichung dieses Artikels bestätigte der Bio-Unternehmer, dass er immer wieder konkrete Gespräche mit deutschen Lebensmittelhändlern führe, auch mit Aldi. Und auch mit Naturland spreche er immer wieder. „Mein Wunsch wäre, mit Naturland zu kooperieren“, sagte Lampert dem BioHandel.

Aldi baut sein Bio-Sortiment weiter aus

Jan Niessen von der Technischen Hochschule Nürnberg ist Professor für strategische Marktbearbeitung in der Bio-Branche und hat bis vor eineinhalb Jahren bei Bioland den Bereich Marketing und Vertrieb geleitet. Er kennt den Bio-Markt im Nachbarland und hält es nicht für abwegig, dass Aldi die Marke oder zumindest die Idee von ZZU nach Deutschland bringen könnte, im Gegenteil: „Für Aldi macht es absolut Sinn, von den Erfahrungen der österreichischen Tochter zu lernen und die Marke zu nutzen.“

Niessen sieht dafür mit der kommenden Neufassung der EU-Öko-Verordnung den richtigen Zeitpunkt. „Ich würde mir ein paar Spezialisten einkaufen, die mich in den nächsten zwei Jahren begleiten, um auf Basis der neuen Verordnung Zurück zum Ursprung in Deutschland zu etablieren.“ Dabei sollte Aldi vor allem in für Kunden sehr relevanten Punkten die Standards höher setzen – wenn möglich über die der Anbauverbände und das auch kommunizieren, so Niessen. Eine mögliche Botschaft von Aldi könnte ihm zufolge sein: „An uns werden alle Verbandsbetriebe in Deutschland liefern können, die unsere zusätzlichen Kriterien erfüllen. Gleichzeitig helfen wir bei der Umstellung.“

Aldi wollte sich auf Nachfrage nicht zu seiner Bio-Strategie äußern. Stattdessen teilte man dort mit: „Wir möchten weiterhin Marktführer im Bereich Bio-Lebensmittel bleiben und bauen unser Sortiment entsprechend weiter aus.“ Gemeinsam mit Lieferanten entwickle man die Qualität und das Angebot der Artikel kontinuierlich weiter und identifiziere neue Potenziale. Vor rund einem Jahr lud der Discounter seine Bio-Lieferanten zu einem Strategietag ein. „Bei den Bestandslieferanten zwitschert es schon von den Dächern, dass da was kommen könnte“, sagt Niessen.

Zu wenig Öko-Landbau für Bio-Großoffensive

Dass Aldi in Deutschland direkt eine Großoffensive mit regionalen Erzeugnissen startet, ist unwahrscheinlich. Dafür wächst noch zu wenig Bio auf deutschen Feldern. Anders als Österreich, wo 25 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch bewirtschaftet wird, sind es hierzulande gerade mal rund zehn.

Umstellungsprogramme sind also eine Voraussetzung dafür, dass Aldi in der Fläche und über viele Produkte hinweg hochwertiges Bio aus regionalem Anbau anbieten kann. „Auf einen Schlag geht das nicht“, sagt Niessen. „Aber wenn man jetzt schon vorarbeitet, könnte mit vielen Lieferanten vereinbart werden, dass etwa ab 2022 die Standards im Zuge der EU-Öko-Verordnung angehoben werden.“ Aus Österreich hört man, dass schon etliche Verarbeiter in Deutschland von Aldi angesprochen worden seien.

Sollte der Discounter qualitativ aufrüsten, müsste man sich dort von der Niedrigpreis-Politik zumindest im Bio-Bereich teilweise verabschieden. Denn mit einer besseren Qualität steigt auch der Preis, der über die Handelsstruktur nur bedingt abgefedert werden kann. Denn es ist wesentlich aufwendiger für einen Hersteller, den Kontakt zu Erzeugern zu halten und langfristige Partnerschaften aufzubauen, als Bio-Rohstoffe auf anonymen Spotmärkten einzukaufen.

Hofer bietet seinen Kunden zwei Arten von Bio

Um den Spagat zwischen den preis- und den qualitätsbewussten Kunden zu schaffen, gibt es bei Hofer zusätzlich zu den ZZU-Produkten mit „Natur aktiv“ auch Bio-Produkte, deren Standards sich an der EU-Öko-Verordnung sowie den Vorgaben der Arge Bio ausrichten und einen weniger strengen Anspruch an die Regionalität der Ware legen. Hofer kann so auch günstigeres Bio anbieten und Produkte, für die in Österreich gerade nicht Saison ist oder die dort nicht angebaut werden können. 


Ungeachtet der strukturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich hat Aldi mit Hofer eine Blaupause, wie gutes Bio auch im Discount funktionieren kann. Ob Aldi Süd und Nord nun aus „Gut Bio“ eine Premiummarke machen, um diese herum eine Qualitätslinie aufbauen oder doch noch mit einem Verband ins Geschäft kommen: Die beiden Discounter müssen aktiv werden, um vom Super-Bio-Trend zu profitieren und ihrem Marktführeranspruch bei Bio auch künftig gerecht werden zu können.

Jan Niessen: „Abgrenzung nur mit Verbandsware wird schwieriger“

Jan Niessen von der Technischen Hochschule Nürnberg ist Professor für strategische Marktbearbeitung in der Bio-Branche und hat bis vor eineinhalb Jahren bei Bioland den Bereich Marketing und Vertrieb geleitet.

Herr Niessen, wie sollte der Naturkostfachhandel auf die Bio-Qualitätsoffensiven der Discounter reagieren?

Diese Offensiven werden weitergehen, es besteht seit einigen Jahren ein Bio-Qualitätswettbewerb zwischen den großen Lebensmittelfilialisten. Trotzdem sind diese Leistungen systemisch begrenzt was Lokalität, Handwerk, Authentizität und Begegnungen anbelangt. Genau hier kann der Naturkosthandel ansetzen und seine Stärken nutzen. Es wird weiterhin die einzige Chance sein, sich positiv abzuheben und zu zeigen, dass man vom Fach ist. Dazu gehört insbesondere, sich eng an einer ganzheitlicheren Nutzenstiftung für anspruchsvolle Kunden auszurichten, vielleicht eine Art lokale Bio-Community zu bilden.

Was heißt das konkret?

Der Fachhandel täte gut daran, sich etwas wegzubewegen vom reinen Produkt und von einer Abgrenzung ausschließlich über Verbandsware. Sich lediglich mit qualitativ hochwertigen Bio-Produkten zu behaupten, wird schwieriger. Stattdessen sollten sich Bio-Händler fragen, welchen Nutzen sich die Kunden vom Einkauf bei ihnen versprechen. Was zum Beispiel wollen Verbraucher, denen Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Biodiversität wichtig sind? Und welche Angebote kann ich ihnen jenseits der Produktebene machen?

Haben Sie dafür ein praktisches Beispiel?

Der Oekobonus ist eine echte Innovation (Anm. d. R.: Das Bonusprogramm, an dem etwa der Superbiomarkt und Ebl Naturkost teilnehmen, soll umweltverträgliches Einkaufen belohnen). Kunden können gesammelte Punkte unter anderem für besonders nachhaltige Einkäufe multiplizieren und damit Gutes tun. Die Botschaft: Wem Nachhaltigkeit auch beim Konsum wichtig ist, der ist bei uns goldrichtig und wird dafür belohnt.

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